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Zoonosen – Pandemien

VIREN:
UNSICHTBARE GEFAHR AUS DER WILDNIS

Affenpocken, Corona, Ebola: Viren, die vom Tier auf den Menschen überspringen, können Pandemien auslösen. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der LMU erforschen die Tricks der Erreger und entwickeln passende Impfstoffe gegen Zoonosen.

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Als die Coronapandemie begannn

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Rückblende: Der erste Coronapatient in Deutschland

Am Vormittag des 27. Januar 2020 klingelt im Tropeninstitut des LMU Klinikums das Telefon. Der Anrufer berichtet von leichten Erkältungssymptomen. Im Winter ist eine verschnupfte Nase eigentlich nicht der Rede wert, keinesfalls rechtfertigt sie einen Anruf in einer auf Tropenkrankheiten spezialisierten Einrichtung. Doch einige Wochen zuvor ist eine neue Viruserkrankung im chinesischen Wuhan aufgetaucht, die wie eine herkömmliche Erkältung beginnt, aber in einer schweren Lungenentzündung mit Todesfolge enden kann. Ist der Anrufer womöglich der erste Fall in Deutschland? Die Mitarbeiter halten das für unwahrscheinlich, bestellen ihn aber dennoch ein. Kein Risiko eingehen, so das Motto.

Es liest sich wie aus einem Drehbuch, was am 27. Januar 2020 passierte. Weil die Szene so bedeutend für Einschätzung und Verlauf der Coronapandemie war, musste LMU-Forscherin Dr. Camilla Rothe, Leiterin der Ambulanz für Tropen- und Reisemedizin, sie bereits oft erzählen. Schon heute wissen Expertinnen und Experten, dass sich solche Szenen in Zukunft auf ähnliche Weise wiederholen werden. Denn in Fachkreisen gilt es nur als eine Frage der Zeit, bis ein weiteres Virus die nächste Pandemie auslöst.

„Man dachte zu jener Zeit, das Phänomen sei auf China beschränkt“, erinnert sich Rothe, die den Patienten damals untersuchte und befragte. „Der Mann war aber gar nicht selbst dort gewesen“, erzählt sie. Es hatte lediglich einen Kontakt zu einer chinesischen Arbeitskollegin ohne Krankheitssymptome gegeben. „Von SARS-CoV-1 aus dem Jahr 2002 wussten wir, dass Infizierte nur dann ansteckend sind, wenn sie auch Symptome haben“, sagt Rothe. Gleiches nahm man daher auch für das neue Coronavirus an. Entsprechend groß war die Überraschung, als das positive Testergebnis kam.

Da gingen bei mir sofort die Alarmglocken los​​

erzählt Rothe – nicht weil der erste deutsche Coronapatient gefunden war, sondern weil dieser sich bei einer symptomlosen Infizierten angesteckt hatte. „Eine Person, die sich nicht krank fühlt, lässt sich nicht isolieren“, erklärt Rothe. „Schlechte Voraussetzungen also, um eine Viruserkrankung einzudämmen.“

Dr. Camilla Rothe sitzt neben einem Mikroskop im Tropeninstitut des LMU Klinikums.

Dr. med. Camilla Rothe​

Camilla Rothe gilt als Entdeckerin des ersten Coronafalls Deutschlands. Sie ist Fachärztin für Innere Medizin, Tropenmedizin und Infektiologie und stellvertretende Abteilungsleiterin sowie Leiterin der Ambulanz für Tropen- und Reisemedizin am Tropeninstitut des LMU Klinikums.

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Gemeinsam mit ihrem Team kommunizierte sie rasch ihre Vermutung, dass eine asymptomatische COVID-19-Infektion möglich sei. Anfangs wurde sie dafür in der Fachwelt teils stark kritisiert, am Ende stellte sich ihre These aber als richtig heraus. Dass sie schnell an die Öffentlichkeit gegangen ist, hat wohl vielen Menschen das Leben gerettet. Wegen ihrer Forschungsleistung nahm das Time Magazine Rothe in die Liste der 100 einflussreichsten Personen 2020 auf. Im Oktober 2022 erhielt sie außerdem den Verdienstorden der Bundesrepublik Deutschland.

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Warum SARS-CoV-2 kein Einzelfall ist

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Exotische Erreger bedrohen Menschen im globalen Norden​

Ihren Anfang nahm die Pandemie wahrscheinlich im Dezember 2019 auf einem Markt im chinesischen Wuhan. Dort infizierte sich ein Mensch erstmals bei einem Wildtier, vermuten Fachleute. Sie sprechen in diesem Fall von einer Zoonose, also einer Infektionskrankheit, die ursprünglich von Tieren stammt. Von Wuhan verbreitete sich das Virus dann innerhalb von Monaten auf der ganzen Welt, wie Untersuchungen nachzeichnen. Der Rest ist bekannt.

Das Beunruhigende dabei: In jüngster Zeit bedrohen immer häufiger exotische Erreger aus abgelegenen Gebieten des globalen Südens die Menschen der westlichen Welt.

Seit 1999 vergeht praktisch kein Jahr, in dem wir nicht ein neues, größeres Ausbruchsgeschehen feststellen​

sagt Gerd Sutter, Professor für Virologie an der Tierärztlichen Fakultät der LMU. Sutter ist Experte für neu auftretende Erreger von Zoonosen und beobachtet deren globale Verbreitung, auch in Zusammenarbeit mit der Weltgesundheitsorganisation.

Prof. Gerd Sutter lehnt am Schreibtisch in seinem Büro am Institut für Infektionsmedizin und Zoonosen der LMU.

Prof. Dr. med. vet. Gerd Sutter​

Gerd Sutter ist Inhaber des Lehrstuhls für Virologie am Institut für Infektionsmedizin und Zoonosen der LMU. Er studierte Tiermedizin an der LMU, promovierte ebendort und ging als Postdoktorand an die National Institutes of Health (NIH), Bethesda, USA, bevor er sich an der LMU im Fach Virologie habilitierte. Gerd Sutter leitete eine Forschungsgruppe am Institut für Molekulare Virologie des Helmholtz Zentrums München und die Abteilung für Virologie am Paul-Ehrlich-Institut in Langen, ehe er 2009 den Ruf an die LMU annahm.

Hinweis der Redaktion: Professor Gerd Sutter ist im Oktober 2023 verstorben.

Gerd Sutter ist als Experte für Pockenviren und Impfstoffe bei verschiedenen internationalen Institutionen gefragt, darunter die Europäische Kommission, die NIH und die WHO. Als leitender Wissenschaftler am Deutschen Zentrum für Infektionsforschung beschäftigt er sich insbesondere mit der Entwicklung von Impfstoffen gegen Infektionskrankheiten, die vom Tier auf den Menschen übertragen werden. Für sein Wirken während der COVID-19-Pandemie wurde Gerd Sutter die Ehrendoktorwürde der Tierärztlichen Hochschule Hannover verliehen, gemeinsam mit Professor Christian Drosten und Professor Lothar Wieler.

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Erreger überschreiten Artengrenzen​​

„Dass Erreger vom Tier auf den Menschen übergehen, ist an sich nichts Ungewöhnliches“, sagt Gerd Sutter. „Zoonosen hat es schon immer gegeben. Und bereits in früheren Zeiten hatte man erkannt, dass bei zu engem Kontakt mit Tieren Unheil droht – ohne die Krankheitserreger zu kennen.“ Virologe Professor Oliver T. Keppler, Vorstand des Max von Pettenkofer-Instituts der LMU München, stimmt zu: ​

Erreger versuchen ständig, von einer Spezies auf die andere zu wechseln.​

Keppler erforscht das Zusammenspiel von Viren mit ihren Wirten, besonders bei HIV. „Meistens schlägt diese sogenannte zoonotische Übertragung aber fehl, weil es bei jeder Spezies besondere Hürden für die Vermehrung von Viren gibt.“ Bedeutet: Der Krankheitserreger ist schlichtweg nicht ausreichend an den neuen Wirt angepasst. Und selbst wenn eine Übertragung auf den Menschen klappt, stirbt die Infektion in der Regel aus, weil sich der Erreger nicht weiter überträgt. Zumeist also eine Sackgasse für das Virus.

Aber: „In seltenen Fällen schafft der Erreger es doch, sich an den neuen Wirt anzupassen und zu einer ernstzunehmenden humanen Infektionskrankheit zu werden“, erläutert Keppler. Das ist der Moment, in dem eine Epidemie oder gar Pandemie entstehen kann. Meist sind das Viruserkrankungen, die wie Coronaviren häufig auch über die Luft übertragen werden. Eine hohe Mutationsrate hilft Viren zudem, sich schnell an den neuen Wirt anzupassen. Auf diese Weise gelingt es ihnen mitunter auch, das antivirale Bollwerk der Immunität des Wirts auszutricksen. Fachleute sprechen von Immunflucht. „Die Fähigkeit zu raschen Mutationen kann es dem Virus außerdem ermöglichen, gegen Medikamente resistent zu werden“, ergänzt Keppler.

Prof. Oliver Keppler steht in seinem Büro am Gene Center Munich der LMU.

Prof. Dr. med. Oliver Keppler​

Oliver T. Keppler ist Inhaber des Lehrstuhls für Virologie und Vorstand des Max von Pettenkofer-Instituts sowie Principal Investigator am Genzentrum der LMU. Keppler studierte Humanmedizin, zunächst in Freiburg i. Br., dann an der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg, wo er auch promovierte. Nach klinischen Tätigkeiten in der Inneren Medizin in der Schweiz erfolgte die Approbation.

Danach absolvierte Keppler Forschungsaufenthalte am Deutschen Krebsforschungszentrum in Heidelberg und am Gladstone Institute of Virology and Immunology an der University of California San Francisco, USA. Von 2002 bis 2012 arbeitete Keppler am Department für Infektiologie des Universitätsklinikums Heidelberg, wo er sich 2005 habilitierte; 2009 Ernennung zum Außerplanmäßigen Professor an der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg; 2009 Ernennung zum Facharzt für Mikrobiologie, Virologie und Infektionsepidemiologie. Keppler war dann von 2012 bis 2015 Direktor des Instituts für Medizinische Virologie am Universitätsklinikum Frankfurt am Main und Ordinarius an der Goethe-Universität Frankfurt, bevor er 2015 den Ruf an die LMU annahm. Er ist Leiter des Nationalen Referenzzentrums für Retroviren und Wissenschaftler am Deutschen Zentrum für Infektionsforschung. In seiner Forschung beschäftigt sich Keppler mit Retroviren und SARS-CoV-2 zu Themen der Pathogenese, Testentwicklung und Therapiemöglichkeiten. Oliver Kepplers Einsatz bei der Bewältigung der Coronavirus-Pandemie wurde mit einem Bayerischen Verdienstorden gewürdigt.

Kurz erklärt

Was sind Zoonosen?​

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Der Mensch kommt der Natur zu nah ​

Vor allem Regionen in Asien, Afrika und Lateinamerika sind Ausgangspunkte der Infektionsgeschehen. „Dort kommt es immer häufiger zum Kontakt zwischen Menschen und Wildtieren – besonders in Gebieten, in denen die Bevölkerung stark wächst“, sagt Professor Michael Hoelscher, Leiter der Abteilung für Infektions- und Tropenmedizin des LMU Klinikums. Der Tropenmediziner forscht zu verschiedenen Infektions- und Tropenkrankheiten, entwickelt diagnostische Verfahren und arbeitet mit Forschenden in Partnerländern im globalen Süden zusammen. In solchen Regionen, siehe etwa Wuhan, verwerten die Menschen jegliche Proteinnahrung, weshalb nicht selten das Fleisch von exotischen Tieren auf dem Speiseplan steht. Zudem erschließt sich die wachsende Weltbevölkerung neue Siedlungsgebiete und landwirtschaftliche Nutzflächen, etwa durch das Abholzen von Urwäldern. „Dadurch werden natürliche Barrieren zu den Wildtieren entfernt“, sagt Hoelscher. Gleiches passiert, wenn Großkonzerne – häufig unter westlicher Beteiligung oder gar Führung – vor Ort Bodenschätze abbauen oder riesige Plantagen oder Rinderfarmen anlegen und dazu gigantische Waldflächen roden. Angetrieben wird dieses unheilbringende Verhalten durch das übermäßige Konsumverhalten des globalen Nordens.

Natürlich gibt es zoonotische Übertragungen auch in Europa

hält Hoelscher fest. Zum Beispiel zirkuliert hierzulande das Bornavirus in Spitzmäusen, das beim Menschen eine Gehirnentzündung auslösen kann. 2019 und 2022 starb an einer Infektion jeweils ein Kind in Bayern. Unsere Haus- und Nutztierkontakte sind aber in der Regel weniger problematisch: „Mit domestizierten Tieren leben wir schon zehntausende von Jahren zusammen, und da haben die Übertragungen schon früher stattgefunden.“ Das menschliche Immunsystem hat also bereits gelernt, mit diesen Erregern umzugehen. Gelangen Viren von exotischen Wildtieren jedoch hierher, können sie sich wiederum unter heimischen Nutztieren verbreiten. So zirkulierte etwa das Coronavirus innerhalb europäischer Nerzfarmen.

Neben den vermehrten Berührungspunkten zwischen Menschen und Wildtieren fördert die Erderwärmung das Auftreten von Zoonosen. Denn veränderte klimatische Bedingungen können dazu führen, dass sich sogenannte Vektoren, also Überträger von Infektionskrankheiten, neue Lebensräume erschließen. Dazu zählt etwa die Zecke, die das Krim-Kongo-Fieber weitergibt und sich in den letzten Jahren vermehrt hierzulande angesiedelt hat.

Für den Fachmann Sutter sticht aber ein Grund ganz besonders heraus: die Mobilität des Menschen. Hat ein Erreger es geschafft, auf den Menschen überzugehen, kann er sich wegen der weltweiten Vernetzung und des hohen Handels- sowie Reiseaufkommens teilweise in Windeseile über den gesamten Globus verteilen.

Prof. Dr. med. Michael Hoelscher​

Michael Hoelscher ist Leiter der Abteilung für Infektions- und Tropenmedizin des LMU Klinikums. Er studierte Medizin an der LMU und promovierte 1996 am Tropeninstitut der LMU, welches seine Arbeitsstätte bis heute ist. Seine Anstellung wurde unterbrochen durch mehrere Ausbildungs- oder Forschungsaufenthalte zum Infektions- und Tropenmediziner (z. B. am Walter Reed Army Institute of Research). Seine zweite Heimat wurde das Mbeya Referral Hospital in Tansania, wo er nicht nur einen Teil der infektiologischen Ausbildung absolvierte, sondern auch eine der größten afrikanischen Forschungsinstitutionen aufbaute, das Mbeya Medical Research Center.

Seit 2010 ist Michael Hoelscher DZIF-Professor für Global Health & Infectious Diseases am LMU Klinikum. Zudem ist er Wissenschaftler und Standortsprecher am Deutschen Zentrum für Infektionsforschung (DZIF, Koordinator Tuberkulose) und wissenschaftlicher Leiter des Konsortiums UNITE4TB, das sich dem Kampf gegen Tuberkulose verschrieben hat. Michael Hoelscher forscht zu verschiedenen Infektions- und Tropenkrankheiten, führt klinische Studien durch, entwickelt diagnostische Verfahren und arbeitet mit Forschenden in Partnerländern im globalen Süden zusammen, wo er sich auch für die Verbesserung der Gesundheitsversorgung engagiert. Für seinen Beitrag zur Bewältigung der Coronapandemie wurde Michael Hoelscher der Bayerische Verdienstorden verliehen. Seit 2022 ist er auch Standortleiter des neu gegründeten Fraunhofer-Standortes in München/Penzberg für Immunologie, Infektions- und Pandemieforschung (IIP) des Fraunhofer-Institutes für Translationale Medizin und Pharmakologie (ITMP).

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Die Dynamik von Epidemien​